Nachname
Menninger-Lerchenthal
Vorname
Albert Theodor
Geschlecht
Männlich
Alter
47
Geburtsdatum
10.04.1897
Geburtsort
Hermagor
, Österreich
Todesdatum
31.07.1944
Todesort
Hermagor
, Österreich
Gruppe
Als Jude verfolgt
Freitext
Albert Theodor Menninger-Lerchenthal wurde als Sohn des Arztes Albert Karl Menninger von Lerchenthal und dessen Gattin Margit (Margarethe, geb. Holzmann) in Sarajevo geboren. Er entstammte als eines von fünf Kindern einer alten Beamten- und Ärztefamilie. Unter Menningers Verwandten sind auch die Gründer und Betreiber der – neben der Mayo-Klinik – berühmtesten medizinischen Klinik in den USA, der „Menninger-Klinik“, zu finden. Theodor Menninger-Lerchenthal, der Großvater des hier thematisierten Albert Theodor Menninger-Lerchenthal, war als Bezirkshauptmann von Hermagor im Jahre 1884 Mitbegründer der Sektion Gailtal des Alpenvereins. Mit ihm begann auch die touristische Erschließung des Nassfelds, da zu dieser Zeit die erste Unterkunftshütte errichtet wurde. Der Vater von Albert Theodor Menninger-Lerchenthal war es wiederum, der sich jahrelang um eine Tuberkuloseheilstätte im Gailtal bemühte. Ihm ist es zu verdanken, dass es im Jahre 1927 überhaupt statistisches Material zur massiven Ausbreitung der Tuberkulose im Gailtal gab. Neben den Daten zu Klagenfurt waren jene vom Gailtal die einzigen statistischen Belege zu dieser Krankheit im damaligen Kärnten. In Menningers Studien ist unter anderem zu lesen, dass im Zuge einer Unter suchung von 24 Schulkindern in Würmlach „[…] nicht weniger als 13 als tuberkulös gefährdet bezeichnet werden mussten […]“. Und weiter: „Es stellte sich heraus, dass im Gailtal ebenso viele Menschen an Tuberkulose sterben wie in Berlin […]“. Auch ein anderer Sohn, Erich Menninger-Lerchenthal, wurde später ein erfolgreicher österreichischer Arzt.
Mit seinem Vater Albert Karl teilte Albert Theodor die Liebe zum Gailtal. Es erscheint deshalb logisch, dass er nach Abschluss des Studiums im Jahre 1928 die väterliche Praxis in Hermagor übernahm. In eben dieser Praxis – im ersten Stock des Hauses des ehemaligen Baders Martin Hild, später Kaffeehaus „Hild“ und altes Rathaus von Hermagor sowie heutiger Standort der „Erste Bank“ am Hermagorer Hauptplatz – verbrachte der junge Arzt einen Großteil seiner Zeit. Er war nicht nur bezüglich seiner Wohnsituation äußerst bescheiden, reichte ihm doch seine Ein-Zimmer-Praxis aus. Er erfreute sich auch bei den Menschen im Bezirk größter Beliebtheit. Personen, die nicht die Mittel für ärztliche Behandlungen hatten, untersuchte und behandelte er gratis. Menninger-Lerchenthal sollte im Übrigen nie heiraten, allerdings gibt es eine uneheliche Tochter, deren gemeinsame Nachfahren in der Schweiz leben.
Trotz allem war er keine widerspruchslose Persönlichkeit, was ihn und seine Geschichte umso interessanter macht. Albert Menninger-Lerchenthal war jüdischer Abstammung (im NS-Jargon „Halbjude“). Ob und wie er den jüdischen Glauben praktizierte, kann nicht mehr einwandfrei festgestellt werden. Albert Theodor Menninger-Lerchenthal war begeisterter Jäger, im Ersten Weltkrieg Oberleutnant der k.u.k. Armee und später Obmann des Kameradschaftsverbandes in Hermagor. Er kehrte aus dem Ersten Welt - krieg als hochdekorierter Soldat zurück, war Träger des Kärntner Kreuzes erster und zweiter Klasse, des Militärverdienstkreuzes dritter Klasse, der silbernen Tapferkeitsmedaille für Offiziere, der silbernen Tapferkeitsmedaille erster Klasse, des Karl-Truppenkreuzes, der Verwundeten- und Kriegserinnerungsmedaillen Österreichs, Tirols und Ungarns sowie Mitglied des Malteser-Ritterordens. Soldatische Tugenden hielt der ehemalige Abwehrkämpfer hoch.
Wer Jude/Jüdin war und wer nicht, wurde vom NS-Regime bestimmt. Ein Umstand, den Menninger-Lerchenthal wohl viel zu lange nicht wahrhaben wollte. Nicht zuletzt deshalb, weil der Arzt beste politische Verbindungen pflegte und laut Meldekartei katholisch war. Im Jahr 1944 hatten die Nazis die Endlösung bereits „auf Schiene“ gebracht. Es half ihm auch nichts, dass er vor dem „Anschluss“ 1938 einen sogenannten „illegalen“ Arztkollegen, der aufgrund seiner NS-Tätigkeit von den herrschenden Austrofaschisten inhaftiert wurde, vertrat, indem er einmal in der Woche seine Praxis betreute und so Frau und Kinder des Besagten über die Runden brachte. Auf eine Revanche der guten Tat musste Menninger-Lerchenthal vergeblich warten. Spätestens nach dem „Anschluss“ wurde die Stimmung ihm gegenüber immer repressiver. „Zeitzeugen erzählen prononciert, dass er hier [in Hermagor, Anm.] viele Freunde hatte und nach dem Umbruch keine mehr. Mit einem Mädchen soll er befreundet gewesen sein, das ihn ‚danach nicht mehr angeschaut hat.‘“ Es erschien in Hermagor nun wohl wenig opportun, mit einem Arzt jüdischer Abstammung befreundet zu sein.
Nachdem Albert Theodor Menninger-Lerchenthal in Kärnten als Arzt von Seiten des NS-Regimes ein Berufsverbot auferlegt wurde, wurde er 1943 von Hermagor mittels einer „Notdienstverpflichtung“ nach Magdeburg befohlen. Dafür hatte er seine Praxis in Hermagor laut einem Schreiben vom 13. Januar 1943 „sofort aufzulösen“ und sich bis spätestens 16. Januar 1943 nach Magdeburg zu begeben, um dort fortan als Arzt tätig zu sein. Menninger-Lerchenthal versuchte über seine Kontakte einen Reise aufschub zu erhalten. Eine mündliche Zusage vom Amt des Innenministeriums wurde aber postwendend zurückgenommen und er musste das Gailtal verlassen. Unter dieser Maßnahme, so ein Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Hermagor aus dem Jahre 1946, steht geschrieben:
"Dr. von Lerchenthal war ein Liebhaber der Kärntner Berge und litt unter der Maßnahme seelisch sehr. Diese Maßregelung erfolgte vermutlich deshalb, weil von Lerchenthal Halbjude gewesen sein soll."
Fest steht, dass er einige Monate später trotzdem ins Gailtal zurückkehrte. Hier hielt er sich aber nicht mehr lange auf. Am 31. Juli 1944 „verstarb“ Menninger-Lerchenthal im 47. Lebensjahr auf der Radniger Alm ober Hermagor in Begleitung eines ranghohen und weiterer NS-Männer, die wie Menninger-Lerchenthal das Weidmannshandwerk pflegten. In seiner Todesakte ist als Todesgrund „Herzmuskelentartung“ angeführt – ein zweifelhafter NS-Begriff. In der Hermagorer Stadtchronik ist zu lesen, dass viele Gailtaler der Überzeugung sind, dass er Suizid beging.
Darüber hinaus führt Herbert Exenberger, langjähriger Mitarbeiter des DÖW, Albert Theodor Menninger-Lerchenthal in einer seiner Opferlisten.
Erich Menninger-Lerchenthal unterzeichnete und veröffentlichte noch am Tag des Todes seines Bruders die Parte. Er war es auch, der 1942 einen Brief an den Hermagorer Bürgermeister Georg Kandolf richtete, in dem er auf die Verdienste des Vaters für die Gemeinde hinwies, in der Hoffnung, die Familie damit vor dem Schlimmsten zu bewahren. Wir wissen heute, dass auch dies nichts half. Die Mutter Margit Menninger-Lerchenthal, welche am 5. März 1880 im heutigen Ungarn geboren wurde, sollte am 10. Jänner 1944 von Graz über Enns nach Theresienstadt gebracht werden. In Theresienstadt befand sich ein „Übergangslager“, von wo die Inhaftierten weiter in die Vernichtungslager, beispielsweise nach Ausschwitz, gebracht wurden. Margit Menninger-Lerchenthal hatte aber Glück. Sie wurde im Frühjahr 1945 von alliierten Truppen befreit. Auch ein weiterer ihrer Söhne, Kurt Theodor Menninger-Lerchenthal, wurde Opfer der Nazis. Er überlebte die Haft, wenn auch schwer gezeichnet.
Quelle:
Gitschtaler, Bernhard (Hg.) (2015): Ausgelöschte Namen. Die Opfer des Nationalsozialismus im und aus dem Gailtal – Ein Erinnerungsbuch. Otto-Müller Verlag, Salzburg, S. 125ff